Und das soll’s jetzt gewesen sein? Mit zwei Urkunden, ein paar elektronischen Utensilien aus meinem Büroschrank und zwei Gläsern Sekt im Magen stand ich jetzt vor meinem Auto auf dem Parkplatz und ließ einen letzten Blick über das Gelände und die Bauten streifen. Hier hatte ich die Arbeitstage der letzten 34 Jahre größtenteils verbracht und versucht, Innovationen und bessere Arbeitsbedingungen unter einen Hut zu bringen, Chefs und Kollegen verärgert und eine liebenswerte Gemeinschaft erlebt.
Deutschland sprach mir ihren Dank und ihre Anerkennung zur Vollendung einer Dienstzeit von 40 Jahren in der einen und meine Versetzung in den Ruhestand in der anderen Urkunde aus. Das war jetzt mal geschafft. Ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern, an dem ich zum ersten Mal auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland mit erhobener rechter Hand geschworen hatte. Den Zeige- und Ringfinger der linken Hand hatte ich vorsorglich überkreuzt hinter meinem Hinterteil verborgen. Man weiß schließlich nie, wofür das mal gut sein wird. Für überkommene Symbole und Rituale war in den beginnenden 80ern, meinem Empfinden nach, kein Platz mehr. Mein Vater hatte schließlich auch schon mal mit vielen anderen schwören müssen, er war zu jener Zeit 17 Jahre alt. Das Ergebnis war sein zerschossener und verkrüppelter Körper, Millionen von toten und geschundenen Menschen sowie eine Welt im Chaos.

Es war damals ein heißer Tag, Anfang August. Eigentlich traf ich mich nachmittags regelmäßig mit meiner Clique am Baggersee zum Baden und Abhängen. Daraus würde an diesem Tag nichts werden. „Die drei Säulen der sozialen Sicherheit“, so das Thema der ersten Schulung bei der Sozial- und Jugendbehörde, machten mir da einen Strich durch die Rechnung. Acht Stunden am Stück, okay, es gab eine kurze Mittagspause, aber ansonsten ständig „Action“. So sieht also Arbeit aus, da will ich doch direkt in die Rente beziehungsweise als Beamter, wenn auch noch auf Widerruf, in Pension1. Aber, so auch schon damals der Hinweis, Rente oder Pension gibt’s für unseren Jahrgang ohnehin nicht mehr. „Ihr müsst euch privat absichern, sonst seid ihr als Versorgungsempfänger auch Kunden im Sozialamt, wenn’s dann überhaupt noch Sozialhilfe gibt“. Aber da gab’s auch noch unseren späteren Sozial- und Arbeitsminister Norbert Blüm: „Die Renten sind sicher!“ Dieser Spruch gefiel mir besser, also glaubte ich dem Norbert2, und das war am Ende gar nicht so falsch. Natürlich hatte ich auch schon früher gejobbt, so richtige Knochenjobs. Gräben für Stromkabel am Straßenrand mit der Hand ausgehoben, Gemüse und Obst beim Bauern in Lkws geladen und später wieder raus auf die Rampe beim Großmarkt. Diese körperliche Schinderei war zeitlich begrenzt in den Schul- und Semester-Ferien und oft auch anständig bezahlt. Das Arbeiten jetzt war für den gefühlten Rest des Lebens.
Auch dieser erste Arbeitstag endete und am Baggersee war ich wie alle ordentlichen Malocher halt erst nach 17 Uhr aufgetaucht. Der Ernst des Lebens schien jetzt wirklich begonnen zu haben. Und tags darauf begann ein neuer Arbeitstag. Das sollte sich ab jetzt bis in alle Ewigkeit, zumindest gefühlt, fortsetzen. Okay, ich war erst in der Ausbildung, die sollte vier Jahre dauern. Dann war immer noch Zeit, eine Surfschule in der Karibik zu öffnen, wenn ich dann mal surfen gelernt habe. Oder doch lieber eine Tauchschule? Tauchen konnte ich schließlich genauso wenig. Hauptsache Karibik, dort war das Paradies und da war ich nämlich noch nie. Anfang 20 sein war super, uns lag die Welt zu Füßen. Und für das Problem mit der langweiligen Arbeit finde ich auch eine Lösung. Immerhin gab’s jetzt reichlich Kohle, das war auch nicht von der Hand zu weisen. „Ohne Moos, nichts los.“ Und im „Rata-Zong“, wie unsere Stammkneipe hieß, war das Geld gut in Alt- und Cola-Bier angelegt. Ich lebte damals noch im Hotel „Mama“ und hatte wenig häusliche Verpflichtungen. Das Leben war schön. Wenn ich ganz ehrlich zurückblicke, war es damals genauso hart oder angenehm, wie es heute, mehr als 40 Jahre später, auch noch ist.