Angeregt durch einen Podcast zweier prominenter „Diskutanten“ möchte ich das in meinem letzten Text kurz angerissene Thema der Anarchie und der Weltsicht der libertären Parteien eingehen. Denn alle diese Parteien, ob AfD in Deutschland unter Alice Weidel, Herbert Kickls FPÖ in Österreich, Viktor Orbáns Fidesz in Ungarn, Georgia Melonis Fratelli d’Italia oder ein Teil der Republikaner um Donald Trump, haben den Begriff Freiheit zentral in ihrem Programm. Sie verstehen unter Freiheit unter anderem den Schutz vor staatlicher Bevormundung bei ihren Themen: Europäische Union mit ihren normierenden Regelungen, Gesundheitsvorsorge, Minderheitenschutz (LGBTQ), Frauenrechte, Umweltschutz und vieles mehr. In den USA liegen die Forderungen der Trumpisten ähnlich, hier spielen die Vereinten Nationen (UN) die Rolle der EU. Autoritäten werden ebenso abgelehnt wie wissenschaftliche Erkenntnisse, die maximal die gleiche Relevanz wie gefühlte Realität haben. Eine Emotion kann eine Tatsache überspielen, alternative Fakten treten an die Stelle der Wahrheit.

20250202_151553-1-623x1024 Das eigene Ich ist alles!? (Februar 2025)

Gleichzeitig wollen viele dieser Parteisympathisanten eine Gesellschaft, wie sie in „der guten alten Zeit“ war: Familie mit Mann, Frau, Kindern, Wirtschaftspolitik wie in den 50ern (Wirtschafts-Wachstum um jeden Preis), keine ausländischen Einflüsse auf die Alltagskultur (Essensgewohnheiten, Religion). Dass die derzeitige Vorsitzende der AfD in einer diesen Ansprüchen diametral entgegenstehenden Lebensgemeinschaft mit einer südasiatischen Frau und adoptierten Kindern im Ausland ihren Lebensmittelpunkt hat, wird, nebenbei bemerkt, vollständig ausgeblendet. Persönliche Freiheit steht an erster Stelle, die Freiheit des anderen ist sekundär, nicht der eigenen Gruppe angehörende Menschen (Volk, enge Auslegung von Nation) haben wenig oder keine Rechte. Die allgemeinen Menschenrechte dienen dazu, die eigenen Rechte einzuschränken und werden deshalb nicht anerkannt. Die in meinen Artikeln angesprochenen aktuellen Probleme unserer Demokratien werden anders als durch meine reformgeprägten Lösungsansätze durch eine totale Disruption gelöst. Während sie ein konservatives Weltbild zelebrieren, wollen sie gleichzeitig die umfassende Revolution, den Umsturz des bestehenden Systems, das in ihren Augen korrupt, abgehoben und verlogen ist. Und zu dieser Sichtweise haben leider einige Vertreter der liberalen Demokratien einiges beigetragen. Skandale wegen falscher und teurer politischer Entscheidungen, die populistischen Forderungen entgegenkamen, aber wegen rechtlicher Beschränkungen nicht durchführbar waren und Verschleppung von Reformen aus ebenfalls populistischen Gründen sind zwei Felder, die das Vertrauen in demokratische Strukturen infrage stellten. Diese Problematik habe ich aber in meinen Essays „Mehr Demokratie wagen“ und „Hat der freiheitlich demokratische Staat seine Existenzberechtigung verloren?“ bereits thematisiert. Auch ist dieser Text nur im Gesamtzusammenhang meiner Schriften zu bewerten.

20250208_140730-Kopie-1024x473 Das eigene Ich ist alles!? (Februar 2025)

Wer recht sensibel auf vorhandene Missstände in der Demokratie hinweist, muss die Missstände im eigenen Lager aber ebenfalls ansprechen. Dass Viktor Orbáns Clan mit EU-Geldern zu Multimillionären gemacht wird, Donald Trump den Klimawandel leugnet, gleichzeitig aber auf Anraten von Klimawissenschaftlern seinen Golfplatz in Irland gegen den steigenden Meeresspiegel schütz, die FPÖ eine Ibiza-Affäre hinter sich hat und Giorgia Meloni Italien im Schatten der sogenannten Flüchtlingskrise zu einer mafiösen Kleptokratie in der Nachfolge von Silvio Berlusconi umbaut, sollte nicht unerwähnt bleiben. Das sind nur wenige, aber sehr offensichtliche Handlungen der neuen „Freiheitlichen“, die aber zeigen, in welcher Richtung der Zug abfahren wird oder schon abgefahren ist. Die Liste könnte beliebig erweitert werden. Freiheit für wenige, Gleichheit und Brüderlichkeit sind Geschichte. Es lebe das Recht des Stärkeren.

Mein Text zeigt sicherlich eine stark vereinfachte Sichtweise des Themas und ist etwas zugespitzt. Trotzdem denke ich, die wesentlichen Punkte angesprochen zu haben. Und deshalb mein Fazit zum Staatsverständnis der neuen Rechten. Wer so ein System wirklich will, muss entweder dafür überdurchschnittlich bezahlt werden, vollkommen verblödet sein oder an der Spitze einer solchen Organisation stehen und dann sind wir wieder beim ersten Grund. Andere Motive fallen mir dafür nicht ein. Aber vielleicht bin ja ich komplett verblödet, bezahlt werde ich für meine Texte nämlich nicht.

Schreibe eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

×